VR - Better than Life?

Dieses Thema im Forum "VR Allgemeine Themen" wurde erstellt von Muadib, 22. September 2014.

  1. Ich möchte hier, unter den Technik-Enthusiasten ;) , mal eine zugegeben vielleicht sehr philosophische Diskussion starten. Kein Bashing, kein Trolling, mich würde wirklich der Austausch zu dem Thema, andere Ansichten und Einsichten interessieren. Ich gehe in folgendem Text auch vom unbedarften Leser aus, also bitte nicht wundern wenn "vermeintlich selbstverständliches" erklärt wird.

    Auf der Games Developer Conferenx Next (GDC Next) hat Starr Long, einer der Entwickler des MMO "Ultima Online", über die Zukunft der Spielebranche referiert. Seine Kernaussage war, dass im Zeitraum der nächsten 10 Jahre die Grenzen der Genres verschwimmen werden, ebenso wie die Grenzen zwischen virtueller und physischer Realität.

    Interessant war hierbei eine Nebenbemerkung, in welcher er darauf Aufmerksam machte, dass z.B. die Entwickler von Oculus Rift, der VR Brille die zu erschwinglichen Preisen den Markt fluten soll, darauf achten müssten, dass der Spieler beim Abtauchen in die Virtuelle Realität noch ihre Umgebung wahrnehmen könnten, etwa indem mittels Kamera diese dem User bemerkbar gemacht wird.

    Stellt man sich nun vor, dass Oculus Rift erreicht was deren Macher sich vornehmen, nämlich ein tragbares System zu sein, welches mit Gyro-Sensoren in Echtzeit vermag den Spieler völlig in eine andere Welt abtauchen zu lassen. Das der User nicht mehr den Eindruck hat auf ein 21" großes Fenster zu schauen hinter dem sich die Welt seiner Begierde befindet, sondern dass er durch drehen seines Kopfes die Umgebung erkunden kann, just wie im wahren Leben.
    Stellt man sich dies vor, ist die Assoziation zu den "Better than Life"-Chips (BTL), wie sie etwa in William Gibsons "Cyberpunk"-Universum, oder den "Shadowrun"-Romanen vorkommt, nicht fern.

    In den genannten Welten sind BTL-Chips Drogen nicht unähnlich in ihrem Suchtpotential. Gerade da die Cyberpunk- und Shadowrun-Universen sind als Dark-Future-Utopien angesiedelt. Mit der in diesen Zukunfts-Fiktionen weit entwickelten Computertechnik, ist es möglich Welten und Szenarien zu simulieren, die von einer Schönheit sind, dass der User beim zurückkehren in die Realität völlig deprimiert von dieser ist und möglichst schnell wieder in die Traumwelten abtauchen will. Den Möglichkeiten sind dabei keine Grenzen gesetzt: Ob man Dauerurlaub an weißen hawaianischen Stränden machen möchte, Abenteuer bestehen oder einfach in die Rolle einer Prostituierten (und dank Nervenkopplung inklusive der Gefühlswelt!). Die Technik machts möglich und gegebenenfalls sogar realer und intensiver als die Realität.

    Das Bild des Jugendlichen, der im abgedunkelten Zimmer vor seinem Computer sitzt und für den die Realität nur noch dass ist wo der Pizzaservice herkommt mag einige Klischees bemühen. Unwirklich ist es aber bereits heute nicht. Wobei das Phänomen nicht nur auf Jugendliche beschränkt ist.

    Wenn nun eine Technik kommt und sie so gut ist, dass man völlig in seine Spielwelt abtauchen kann, mag das ein erster Schritt hin zu Szenarien sein wie sie Gibson vorgezeichnet hat.

    Als neugieriger Mensch bin ich gespannt darauf einmal ein Oculus Rift auszuprobieren, evtl. sogar eine zu haben um ein neues Spielerlebnis zu haben, auch wenn sich meine Spielanfälle auf 1-2x exzessiv im Jahr beschränken und jedes neue Zelda ein Muss ist. Was aber wenn das Suchtpotential jede Skala sprengt?

    Die Themen Spiel-, Computer oder Onlinesucht polarisieren noch heute, mehr als 20 Jahre nachdem sich das Internet und der Heim-PC zu Massenphänomen entwicklet haben. Noch immer gibt es Beißreflexe, weil mit solchen Schlagworten sich viele Menschen in die Ecke der Nerds gestellt fühlen und dem Rest entgegenhalten lediglich noch nicht im "Neuland" angekommen zu sein. Da wird bestritten dass die neuen Süchte in der Form überhaupt existieren und die Pharmaindustrie, alternativ die Psycho-Onkel, nur auf der Suche nach neuen Zielgruppen sind. Aber so einfachen, denke ich, ist es auch wieder nicht.

    Man sollte die Themen ernsthaft untersuchen, mit über (fast) jeden Zweifel erhabenen Egebnissen. Und vielleicht ist es an der Zeit dass sich Entwickler im Development-Prozess obligatorisch mit Suchtvermeidungsstrategien auseinander setzen.

    Es hat lange gedauert bis Code-Reviews obligatorisch wurden um Einfallstore zu vermeiden. Es hat sich, in der Anwendungsentwicklung allgemein, noch immer noch nicht durchgesetzt dass "Privacy-by-Design" zu den Grundüberlegungen gehört.
    In Anbetracht des Umstandes, dass "Sucht" für einen Hersteller gleichzusetzen ist mit "Anwenderbindung" und somit mit Profit, darf man sich fragen ob und wie dieses Thema Eingang in den Prozess finden wird.
    Zumindest darf man bei "Selbstregulierung" skeptisch sein.

    Dabei will ich gar keine dunklen Szenarien spannen oder gar in Panikmache verfallen. Gedanken zu dem Thema sind aber nicht fehl am Platz.
     
    #1 Muadib, 22. September 2014
    Zuletzt bearbeitet: 22. September 2014
  2. Danke Muadib,

    das dürfte mit Sicherheit eine der spannendsten Diskussionen der kommenden Jahre und eins der Dauerthemen in diesem Forum werden.

    Ich hab nur kurz Zeit gerade, daher nur ein paar gedankliche Impulse...

    Fangen wir mit dem negativen an (das mit der positiven technischen Entwicklung einhergeht): VR wird mit zunehmender Qualität definitiv das Potential haben, Menschen zu berauschen und suchtähnliche Effekte zu generieren (übermäßiger Konsum, Entzugserscheinungen, Realitätsverlust und Verschlechterung der sozialen Lage). Zudem muss noch viel Grundlagenforschung betrieben werden, welche Inhalte man wie anbieten soll, um Menschen nicht zu überfordern - und damit meine ich nicht die Übelkeit. Ab wann darf ich z.B. Kindern welche Inhalte zumuten? Aufgrund der hohen Immersionsbereitschaft werden die ungemein starke Erlebnisse in der VR haben und auch Suchterscheinungen entwickeln - da muss mit ganz viel Verantwortungsbewusstsein entwickelt und auch kontrolliert werden!

    Es gibt aber auch viele positive Aspekte in Zusammenhang damit, denn VR wird im Gegensatz zu den meisten Suchtmitteln...

    - voraussichtlich keine nachhaltigen körperlichen Nebenwirkungen haben (im Gegensatz zu "echten" Drogen)
    - legal sein und somit nicht von Kriminellen zur finanziellen Ausbeutung genutzt werden können
    - wenn es richtig gemacht wird, Menschen helfen soziale Kontakte zu knüpfen, ihr Wissen zu erweitern und Potential auszuschöpfen

    Grundsätzlich wähne ich die Chancen sehr viel größer als die Risiken. Aber dazu später mehr...
     
  3. Ich habe ebenfalls zu wenig Zeit um mich, dem Thema würdig, ausreichend hier zu melden. Dazu aber kurz eine Anmerkung:

    Es gibt aktuelle Studien die erforschen und bereits in Form kleinere Ergebnisse aufzeigen, dass der 3D Konsum in frühe Lebensjahren zur Fehlbildung der Augen führen kann. Grund hierfür sind, dass die Augen in der virtuellen Welt (stand heute) kein richtiges Fokussieren erlernen. Der Fokus auf bestimmte Objekte wird von der Software übernommen. Die gesundheitlichen Schäden sind (starke) Sehschwächen.
     
  4. Die Altersfrage halte ich auch für sehr speziell. Einschätzungen der USK bezogen auf Filme oder Games müssten speziell für VR-Content separat druchgeführt werden. Ich denke es ist ein unterschied ob ich Zelda (ab 6 Jahren) auf der Wii Spiele, von sicheren Sofa aus, in der Geborgenheit des "von oben drauf sehens" oder mitten in dieser Welt bin und erschrecke wenn ich mich umdrehe und ein Drache hinter mir steht. Die Erlebnisse sind, trotz gleichen Inhalts sicher emotional Welten auseinander.
    Das auf "gefühlter Ebene".
    Auf körperlicher Ebene kommt auch die Anmerkung von VideoGameDad zum tragen. Nintendo hat selbst vor der Nutzung von 3DS "gewarnt" bei Kindern unter 6 bzw. bei nicht voll entwickelten Augen.

    Die körperlichen Nebenwirkungen kann man noch gar nicht absehen. Klar, nicht wie bei "echten Drogen" (mir gefallen die " ;) ) im Sinne von den Körper zerstörenden Effekten/Nebenwirkungen. Und mal von schlecht ausgebildeter Muskulatur/Knochen abgesehen. Aber wir wissen ja was für ein elastisches Gewebe das Gehirn ist (und hier wiederum nicht im Sinne von Glibber... ;) und wie schnell es sich für seine "Aufgaben" anpasst. Ich könnte mir vorstellen, dass ein Gehrin, welches 8h am Tag VR-Reize verarbeitet völlig anders verdrahtet ist als das eines Athleten oder Bücherwurms.

    Die ganze Latte an Vorteilen und Möglichkeiten ist natürlich höchst spannend! Aber wie so oft in der Geschichte, wird sich vermutlich zuerst auf das "was geht" konzentriert, auf das "mehr Profit" und weniger auf das "welche Risiken"
     
  5. Na ja, Nintendo hatte die Warnung weniger den Kindern zuliebe ausgeprochen, sondern mehr der rechtlichen Absicherung - FALLS da mal eine Mutter/Vater auf die Idee kommen sollte die Brillenrechnung an Nintendo zu schicken.

    Solche Sachen sollte man dann auch nicht überbewerten (womit ich nicht sage, dass man das nicht "Im Auge" ( ^^ ) behalten sollte :bq:
     
  6. Als erwachsener Mensch, kann ich für mich selbst entscheiden, ob und wie lange ich in die virtuelle Welt abtauche. Für Kinder und Jugendliche muss das im ermessen des Erziehungsberechtigten liegen. Welche Risiken zum jeweiligen Stand der Technik und Erforschung bekannt sind, sollte man dem "Beipackzettel" (siehe Medikamente) entnehmen können. Aber lassen wir mal die Kirche im Dorf. Eine virtuelle Realität, die wir nicht mehr von der echten unterscheiden können, liegt noch ferner als der Weltfrieden.

    Unbestritten besteht ein gewisses elektronisches Sucht-Potenzial. Aber das kennen wir schon länger. Habe selbst auch Jahre Word of Warcraft gesuchtet. Wenn man voll dabei sein wollte, musste man eben 7 Tage in der Woche online sein und an 3-5 Tagen feste inGame-Termine usw. Ganz klar, das kann zur Sucht werden und einige Leute haben dadurch in ihrem "RealLife" echt schlimme Probleme bekommen. Das gleiche kann natürlich unter der Rift auch passieren. Das Sucht-Problem verursacht aber nicht die Rift selbst, sondern die Inhalte (Spiele/Software), das soziale Umfeld und die eigene Persönlichkeit. Das geht auch ganz ohne Rift.

    Suchtis gibts auch auf Facebook oder auch in Foren. Schau nur hier rein. Wenn Balmung am Tag nicht seine 20 Beiträge hier im Forum hinterlässt, kann er nachts nicht schlafen. Jetzt also eine Sperre vor max. 3 Beiträgen/Tag einbauen, oder Tastaturen verbieten? Neeeee, nicht immer die Verantwortung auf andere abschieben. Irgendwann muss jeder mal lernen, selbst die Verantwortung für sein handeln zu übernehmen.

    Ich persönlich lasse mich ungern regulieren oder einschränken und liebe es, die Freiheit zu haben, selbstständig Entscheidungen zu treffen.
     
  7. Unsere "Realität" ist doch auch nichts anderes als eine Traumwelt, eine Illusion. Nach dieser sind wir sogar dermaßen "süchtig", dass wir vollends von ihr abhängig sind :) VR ist in meinen Augen nichts anderes als der Versuch, diese Traumwelt zu reproduzieren. Also eine Illusion in der Illusion.